Die UN-Simultandolmetscherin Silvia Broome (Nicole Kidman) hört nach der Arbeitszeit über ihre Kopfhörer ein Mordkomplott mit. Jemand innerhalb der UNO plant ein Attentat auf einen Staatschef, der bald vor der UNO eine Rede halten soll.
Silvia stammt aus dem gleichen Land wie der Diktator, der ermordet werden soll. Ihre Eltern wurden Opfer seines Regimes und Silvia hält Informationen zurück. Das macht sie für Tobin Keller (Sean Penn), den zuständigen Ermittler zu einer unglaubwürdigen Zeugin.
Aus dieser Ausgangslage macht Sydney Pollack einen Politthriller, der nichts zu wünschen übrig lässt. Besonders erfreulich ist, dass Sydney Pollack nicht die nackte Gewalt in den Mittelpunkt seines Films stellt. Das bedrohliche Szenario entwickelt sich aus den undurchschaubaren Machenschaften der Verschwörer im Hintergrund.
Die größte Stärke des Films liegt in der Vielfalt von Perspektiven und Handlungsebenen. Nach gängiger Drehbuchtheorie sollte so eine „full argumented story“ eigentlich Standard sein. Doch das Hollywood–Kino verzichtet heute zugunsten plakativer Botschaften gerne auf Komplexität. Und der, sich „künstlerisch“ fühlende europäische Film konzentriert sich oft auf wenige Aspekte eines Themas und verliert dabei das triviale Ganze des Geschichtenerzählens aus dem Auge.
Auch „Die Dolmetscherin“ kann nicht ganz an den aktuellen Strömungen vorbei gehen. Die Filmmusik greift beispielsweise sehr tief in die Trickkiste der Gefühle.
Doch hinter diesen Zugeständnissen an den Mainstream erleben wir eine vielschichtige Filmstruktur. „Im Anfang war das Wort.“ Dieser erste Satz des Johannesevangeliums zieht sich als thematischer Leitfaden durch den Film. Politik und Diplomatie sind nur Worte. Doch die Worte haben reale Konsequenzen. Wie gehen wir mit den Worten um? Silvia hat ihre leidvollen Erfahrungen mit dem Glauben an große Worte gemacht. Trotzdem steht sie heute als „Interpreter“ im Dienst dieser Worte. Wie interpretieren wir den Wert des Wortes, wenn es bewusst zur Lüge eingesetzt werden kann?
Auf der persönlichen Ebene stehen sich mit Silvia Broome und Tobin Keller zwei Menschen gegenüber, deren beider Leben intensiv von Tod und Verlust bestimmt wird. Auch hier sind es wieder die Worte, die ausgesprochenen und die verschwiegenen, die die Entwicklung vorantreiben.
Nicht darüber reden können; von den Worten eines verstorbenen, geliebten Menschen nicht loslassen können; Das Unfassbare in Worte fassen und niederschreiben, um so wenigstens die Illusion von der Kontrolle des Unkontrollierbaren zu erlangen: Für viele solche Momentaufnahmen findet Sydney Pollack in seiner Inszenierung Zeit, ohne dabei die Hauptsache zu vernachlässigen: „Die Dolmetscherin“ bleibt ein Thriller voll Suspense vom Anfang bis zum Schluss.