In den 1960er-Jahren wurde im Viktoriasee eine fremde Fischart eingesetzt. Das kleine wissenschaftliche Experiment war ein voller Erfolg. Der Nilbarsch entwickelte sich in den fremden Gewässern so gut, dass er heute als Exportschlager Tansania viel Geld einbringt.
Nicht nur ökonomisch, auch aus evolutionärer Sicht erwies sich der Barsch als echter Siegertyp. Mittlerweile hat der Raubfisch Hunderte einheimische Arten ausgerottet – darunter viele, die für das biologische Gleichgewicht des Viktoriasees unverzichtbar sind. Der ökologische Kollaps scheint vorprogrammiert.
Hubert Sauper blickt mit der Kamera unter die glatte Oberfläche globaler Erfolgsstorys und stößt dabei auf viele Kanten und Ecken, die das Leben der ortsansässigen Bevölkerung nachhaltig beeinträchtigen.
Die katholische Kirche beansprucht das Weltmonopol auf den rechten Weg. Doch der lokale Vertreter Roms kann sich trotz der zahlreichen Aids-Waisen nicht zu einer Empfehlung des Kondoms durchringen. Denn schließlich seien auch Kondome gefährlich, da sie Sünde sind. Die Transportflugzeuge bringen mit den Fischfilets das Leben in den Norden und beim Rückflug in Form von Waffen den Tod nach Afrika.
Sauper besticht durch eine Bildsprache, die weit über die filmische Gestaltung des Augenblicks hinausgeht. Er setzt die Ereignisse in ihrer Gesamtheit in die richtigen Relationen.
Die von der EU massiv geförderte Fischindustrie Tansanias glänzt mit Hygienestandards, die an die Produktion von Mikrochips oder an Operationssäle erinnern. Draußen entwickelt sich eine alternative „Lebensmittelindustrie“, die wir aus europäischer Perspektive eher als Abfallverwertung bezeichnen würden. Dort fließen Fischreste, Maden und Arbeiter in den Bildern so ineinander, dass der Kontrast zwischen Gewinnern und Verlierern der geförderten Befriedigung europäischer kulinarischer Gelüste nicht extremer wirken könnte.
Das Erschreckendste an Saupers Film ist, dass er uns im Grunde nichts Neues zeigt. Wir wissen ja, was in der Welt los ist. Hubert Sauper: „Darwin’s Nightmare könnte ich in Sierra Leone erzählen, nur wäre der Fisch ein Diamant, in Honduras eine Banane, und in Angola, Nigeria oder Irak, schwarzes Öl.“
Doch über die Zustände Bescheid wissen und etwas konkret sehen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Der Film reichert unser Wissen um jenes emotionale Element an, das sonst nur die persönliche Erfahrung bringen kann und schlägt so die Brücke zwischen Verstehen und Begreifen. Da weiß man dann wieder, warum man beim Einkauf vielleicht doch lieber ein paar Cent mehr ausgeben und zu Fair-Trade-Produkten greifen sollte.
Da ist nicht nur jemand schnell hingefahren und hat die Kamera auf berichtenswerte Ereignisse gerichtet, um Bilder zu produzieren, wie wir sie täglich in den Nachrichten sehen. Aus dem Film spricht eine starke Vertrautheit mit den betroffenen Menschen. Das ist bester investigativer Journalismus, der eben nicht Fakten aufdeckt – die sind bekannt –, sondern die emotionale Wahrheit hinter den Facts.
Saupers Vision einer Welt von Winnern und Loosern hat nur einen entscheidenden Nachteil: Sie ist in Wahrheit keine Nightmare, sondern tägliche Realität.