Balzac und die kleine chinesische Schneiderin

Ma (Liu Ye) und Luo (Chen Kun) werden im Rahmen der Kulturrevolution zur Umerziehung in ein entlegenes Bergdorf verbannt. Das harte Leben als revolutionäre Bauern hält für die beiden Jugendlichen nur wenig Abwechslung bereit.

Ma und Luo müssen sich schon einige konterrevolutionäre Tricks einfallen lassen, um ein paar kleine Privilegien zu erhalten. Damit Ma auf seiner Geige dekadente westliche Musik spielen darf, erfindet er für eine Sonate kurzerhand den Titel „Mozart sehnt sich immer nach dem Großen Vorsitzenden Mao.“

Ein Koffer voller „verbotener Bücher“, auf den sie zufällig stoßen, ist die einzige Verbindung zu jener Gedankenwelt, die ihnen mit der Umerziehung ausgetrieben werden soll.

Gleichzeitig verlieben sich Ma und Luo in die Enkelin des alten Schneiders (Zhou Xun). Das Mädchen kann nicht lesen und Sie liebt es, sich die Romane vorlesen zu lassen.

Der Film spielt im China des Jahres 1971. Die Romane, denen die kleine Schneiderin so gerne lauscht, stammen durchwegs aus dem 19. Jahrhunder. Die 100 Jahre alte Bücher werden das Leben der Analphabetin nachhaltig verändern.

Diese starke Exposition klingt nur konstruiert, wenn man den Film nicht gesehen hat. Denn Sijie Dai führt uns in die restriktive Welt der Kulturrevolution. Dort wird jedes, noch so antiquierte Dichterwort über die Freiheit zur Labsal für die Seele.

Die Geschichte könnte genauso gut 15 Jahre früher oder später spielen. Das China, das wir sehen, erscheint zeitlos rückständig. Alle Ziele der drei Helden drehen sich um Basics, die wir als selbstverständlich betrachten: Lesen dürfen, was man lesen will; seinen Aufenthaltsort frei wählen; Kinder bekommen – oder eben nicht –, ohne durch demographisch motivierte Gesetze beschränkt zu werden.

Der Film besitzt keinen eigentlichen Handlungsbogen, der sich auf aktives Betreiben eines Helden weiterentwickelt. In so einem System könnte nicht einmal Rambo die Dinge in die Hand nehmen.

Das Fehlen eines Plots im herkömmlichen Sinn macht der Film mit einer Fülle fantasievoll absurder Situationen mehr als wett. Dazu kommt eine Leichtigkeit in Sprache und Bild, die einen auch in Szenen ohne dramaturgischen Zweck gefangen hält.

„Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“ ist ein poetischer Film, den man sich nicht entgehen lassen sollte.